Genie oder kein Genie, ist nicht die Frage. Perspektiven auf Clara Wieck Schumanns Kompetenzerwerb

Gustav Schilling charakterisierte Clara Wieck Schumann 1838 als geniale Virtuosin ebenso wie als geniale Komponistin, während sie selbst keinen Geniestatus für sich beanspruchte. Durch die im medizinisch-anthropologischen Diskurs im 19. Jahrhundert behauptete ›natürliche Ungleichheit‹ von Frauen und...

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Main Author: Janina Klassen
Format: Article
Language:deu
Published: Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) 2020-06-01
Series:Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie
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Online Access:https://storage.gmth.de/zgmth/pdf/1036
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description Gustav Schilling charakterisierte Clara Wieck Schumann 1838 als geniale Virtuosin ebenso wie als geniale Komponistin, während sie selbst keinen Geniestatus für sich beanspruchte. Durch die im medizinisch-anthropologischen Diskurs im 19. Jahrhundert behauptete ›natürliche Ungleichheit‹ von Frauen und Männern wurde die Idee eines heldenhaften Genies, das unangestrengt und voraussetzungslos originelle Ideen produziert, verstärkt. Demgegenüber dokumentierte die Künstlerin, dass Komponieren harte Arbeit sein könne und sie das Handwerk systematisch gelernt habe. Heute hat sich der Fokus von der Diskussion des Genies auf die Erforschung von Kreativität verlagert. Einige zentrale Fragen, wie die nach den Akteur*innen, dem Publikum, den Aktionen, den Artefakten sowie den soziokulturellen und materiellen Entstehungsbedingungen musikalischer Werke können mit Kategorien der Genderforschung verbunden werden. Aus dieser Perspektive betrachte ich die Entstehung von Clara Wieck Schumanns Scherzo op. 10 und der Romanze op. 11/2. Die Kenntnis, wie und was unter Genie zu verschiedenen Zeiten verstanden wurde, konfrontiert uns damit, über eigene explizite wie implizite Überzeugungen nachzudenken und neue Zugänge zu ›post-genialistischen‹ Kunstwerken zu erarbeiten. In 1838 Gustav Schilling characterized Clara Wieck Schumann as a virtuoso and composer of genius; however, she never claimed genius for herself. The assumed naturalness of female inequality in medical and anthropological discourses of the nineteenth century reinforced the idea of a natural-born heroic genius who produces original ideas without effort and preconditions. In contrast, Clara Wieck Schumann documented that composing could be hard work and that she had received a systematic musical education. Today, the discussion of genius has given way to research on creativity. Some key questions of this research such as the actors, audiences, actions, artifacts, and sociocultural and material affordances of musical works can be connected to categories of gender studies. From this perspective I reflect on the compositional process of Clara Wieck Schumann’s Scherzo op. 10 and Romanze op. 11, no. 2. Understanding the concept of genius in different historical periods prompts us to re-think our own explicit and implicit assumptions and to find new approaches to “post-genius” art works.
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spellingShingle Janina Klassen
Genie oder kein Genie, ist nicht die Frage. Perspektiven auf Clara Wieck Schumanns Kompetenzerwerb
Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie
genie
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kreativität
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