Editorial

Woher nehmen wir unsere Vorstellung davon, was richtig oder falsch, gut oder böse, erlaubt oder verboten ist? – Die für jeden Juristen und jede Juristin naheliegende Antwort lautet: Aus dem Wortlaut des Gesetzes. Doch wer die Bedeutung der Wörter bestimmt, ist damit keineswegs geklärt. Jan Schröder...

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Main Author: Thomas Duve
Format: Article
Language:deu
Published: Max Planck Institute for Legal History and Legal Theory 2022-10-01
Series:Rechtsgeschichte - Legal History
Online Access:https://proceedings.hpsg.xyz/index.php/rg/article/view/51
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description Woher nehmen wir unsere Vorstellung davon, was richtig oder falsch, gut oder böse, erlaubt oder verboten ist? – Die für jeden Juristen und jede Juristin naheliegende Antwort lautet: Aus dem Wortlaut des Gesetzes. Doch wer die Bedeutung der Wörter bestimmt, ist damit keineswegs geklärt. Jan Schröder geht in der Recherche in seinem Aufsatz zur Bedeutung der Wörter in der Rechts- und Sprachtheorie der frühen Neuzeit dieser Frage nach. Die mittelalterliche Lehre von der Imposition, also der Bestimmung der Bedeutung durch eine Autorität, so zeigt er, weicht im 17. Jahrhundert der Ansicht, dass der gewöhnliche Sprachgebrauch maßgeblich – und zugleich historisch relativ sei. Vorstellungen von richtig und falsch, erlaubt und verboten, wurden in der europäischen Geschichte aber nicht allein von Juristen, sondern auch von der Religion bestimmt. Das stellt Elizabeth Papp Kamalis Beitrag zur rechtlichen Bedeutung von intoxication im mittelalterlichen englischen Recht heraus. In diesem greift sie auch auf Beichthandbücher zurück, die sich aus naheliegenden Gründen ausführlicher mit übermäßigem Alkoholkonsum und seinen Folgen auseinandersetzten.  Besonders anschaulich wird die Bedeutung der Religion für das Recht in der Marginalie von Erk Volkmar Heyen, in der er sich mit der Gerechtigkeitsfiguration im Lichte politischer Marienfrömmigkeit im frühen 16. Jahrhundert beschäftigt. Auch in der zweiten Marginalie geht es um die Visualisierung von Recht, allerdings im Medium des Films und der Architektur: Daniel Damler analysiert, wie der permanente Ausnahmezustand in der Heimatstadt von Batman in Szene gesetzt wurde. Gotham City ist nirgendwo und überall, dunkel, gewaltig und schroff – auch das ist eine Botschaft der Batman-Filme, die weltweit von mehr als einer Milliarde Menschen gesehen wurden und mehr als vieles andere unsere Vorstellungen von Recht und Unrecht spiegeln mögen. Die Bildstrecke mit Fotografien aus New York, in den Jahren 1992, 2017 und 2019 von Otto Danwerth aufgenommen und zum Teil in Galerien ausgestellt, nimmt die oft dunkle Bildsprache von Gotham City auf. Wir widmen uns am Max-Planck-Institut aber nicht allein den Wechselwirkungen von Architektur und Recht – nämlich in einem im Rahmen der sog. LOEWE-Initiative geförderten Vorhaben »Architekturen der Ordnung« –, sondern auch den ganz klassischen Themen der Rechtsgeschichte. Das zeigt der Bericht der Herausgeber und Herausgeberinnen des vierbändigen »Handbuch zur Geschichte der Konfliktlösung in Europa«, das David von Mayenburg als Gesamtherausgeber koordiniert hat. Es dürfte das sichtbarste Ergebnis eines ebenfalls im Rahmen der LOEWE-Initiative geförderten Schwerpunkts »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung« sein, der von der Goethe-Universität und dem Max-Planck-Institut initiiert wurde und 2014 seine Arbeit aufgenommen hatte. Auch die beiden Foci entstammen der Forschung am Institut. Karl Härter und Valeria Vegh Weis haben Beiträge zu transnationaler Strafrechtsgeschichte mit einem Schwerpunkt auf Lateinamerika versammelt. Diese machen nicht zuletzt die aktive Rolle lateinamerikanischer Akteure bei der Herausbildung transnationaler Diskurse, Institutionalisierungsprozesse und völkerrechtlicher Verträge deutlich. Im zweiten Focus geht es um Arbeitsrechtsgeschichte, die am Institut bereits seit einigen Jahren im Rahmen der vor allem von Gerd Bender, Peter Collin und Thorsten Keiser getragenen »Initiative Arbeitsrechtsgeschichte« betrieben wird. Ein Beitrag in diesem Focus gibt Auskunft über ein digitales Quelleneditionsprojekt, das unter Peter Collins Leitung von Johanna Wolf und zwei Doktoranden, Tim-Niklas Vesper und Matthias Ebbertz, durchgeführt wird. Es ist Teil des Projekts »Nichtstaatliches Recht der Wirtschaft«, bei dem die Arbeitsbeziehungen in der Metallindustrie vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik im Mittelpunkt stehen. Digitale Quelleneditionen werden immer zahlreicher und wichtiger, so dass sie inzwischen auch einen größeren Raum in unserem Rezensionsteil einnehmen, der Kritik. Eine ausführliche Rezension gilt einer Quellensammlung zur portugiesischen Rechtsgeschichte, eine andere der Webseite Slavery, Law & Power in the British Empire and Early America (SLP). Im Übrigen spiegelt die Kritik mit ihren insgesamt 45 Rezensionen die thematische und sprachliche Vielfalt der rechtshistorischen Forschung wider: Sie reicht eben mindestens vom Codex Hammurapi bis zur europäischen Bankenunion und deren Geschichte.
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publisher Max Planck Institute for Legal History and Legal Theory
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