Das Menschliche in der Musik . August Halms prozessuale Metaphorik im Brennpunkt analysetheoretischer Fragestellungen

Musikalische Analyse stützt sich traditionell weniger auf das Erlebnis des Musikhörens als auf das, was in der Partitur ›zu sehen‹ ist. Der Musiktheoretiker August Halm hat hingegen gerade für die expressiven, dynamischen und prozesshaften Qualitäten von Musik ein reichhaltiges und plastisches Vokab...

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Main Author: Astrid Bolay
Format: Article
Language:deu
Published: Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) 2021-12-01
Series:Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie
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Online Access:https://storage.gmth.de/zgmth/pdf/1148
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description Musikalische Analyse stützt sich traditionell weniger auf das Erlebnis des Musikhörens als auf das, was in der Partitur ›zu sehen‹ ist. Der Musiktheoretiker August Halm hat hingegen gerade für die expressiven, dynamischen und prozesshaften Qualitäten von Musik ein reichhaltiges und plastisches Vokabular entwickelt. Um seine formalästhetische Position zu rechtfertigen, ist er in seiner ›Sturmsonaten‹-Analyse – in Abgrenzung zu einer inhaltsästhetischen Ausdeutung desselben Stücks von Paul Bekker – allerdings gezwungen, eine Grenze zwischen einer ›zulässigen‹ und einer ›nicht mehr zulässigen‹, allzu stark ›vermenschlichenden‹ Metaphorik zu definieren. Bei einer meta-sprachlichen Analyse seiner Formulierungen nach Lakoff und Johnson wird sichtbar, dass menschliche, letztlich körperbasierte metaphorische Konzepte sein (und unser) gesamtes, räumliches wie prozessuales ‒ und zum großen Teil unbewusstes ‒ Verständnis von Musik durchdringen; eine Perspektive, die jede Grenzziehung innerhalb dieses Spektrums von Metaphorizität willkürlich erscheinen lässt. Wenn anschließend einige der ›energetischen‹ Konzeptualisierungen, die für Halms Verständnis von Musik besonders typisch sind, daraufhin untersucht werden, wie sie kognitivistisch funktionieren und was sie leisten, so geschieht das auch mit dem Ziel, ihr Potenzial für die seriöse Musikanalyse unserer Tage nutzbar zu machen. Musical analysis has traditionally relied less on the experience of actually listening to music than on what can be “seen” in the score. Music theorist August Halm, on the other hand, developed a rich and vivid vocabulary precisely for the expressive, dynamic, and processual qualities of music. To justify his formal-aesthetic position, however, he is forced in his analysis of the Tempest Sonata – in contrast to a content-focused aesthetic interpretation of the same piece by Paul Bekker – to define the boundary between a “permissible” and a “no longer permissible,” overly “humanising” metaphor. A meta-linguistic analysis of his phrasing, following Lakoff and Johnson, reveals that human, ultimately body-based metaphorical concepts permeate his (and our) entire spatial as well as processual – and largely unconscious – understanding of music. This gives rise to a perspective that makes any demarcation within this spectrum of metaphor seem arbitrary. It is worth examining some of the “energetic” conceptualizations that are typical of Halm’s understanding of music, both to see how they function cognitively and what they can achieve. This examination also occurs with the aim of making their potential available for serious present-day music analysis.
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